Jürgen Schatz, 2002

Reisebericht

Jürgen Schatz, 2002Es ist meine erste Reise nach Indien. Mein Urlaubsdomizil ist das Elternhaus von Pfarrer Georg Thaniyath in Kerala (Südindien). "Father Varghese", wie er in seiner Heimat respektvoll genannt wird, nimmt mich bereits am zweiten Tag (13.08.02) mit zur Einweihung von 16 Häusern des Projekts "Dach überm Kopf". In den darauf folgenden Tagen werde ich noch bei weiteren 28 Hauseinweihungen dabei sein, unter anderem bei der Einweihung des 500. Hauses durch Erzbischof Daniel, der es sich trotz übervollem Terminkalender nicht nehmen ließ, dieses für die Region bedeutsame Ereignis persönlich zu begleiten. Pfarrer Georg, dem die Projekte sehr am Herzen liegen, nimmt seinerseits lange Arbeitstage in Kauf, um sich vom Stand der Projekte persönlich zu überzeugen und mit unterschiedlichsten Kontaktpersonen ins Gespräch zu kommen, während ich die Gelegenheit nutze Land und Leute kennen zu lernen.

Mit 2 gemieteten Touristentaxis fahren wir als 10-köpfiges Team zu den auf mehreren Inseln verteilten Häusern. Einige Häuser erreichen wir nur mit dem Boot. Kritisch beäuge ich das altersschwache Boot und hoffe, dass es nicht leckt. Die Landschaft, durch die wir fahren, ist traumhaft schön. Wo ich hinschaue Palmen, Seen, Felder, gelassen wirkende Menschen, die mich neugierig anschauen. Als Europäer gelte ich hier als Ausnahmeerscheinung.

Wie spielt sich nun eine Hauseinweihung ab? Zunächst wird der Ortspfarrer aufgesucht, der uns freundlich willkommen heißt und uns bewirtet. Dann brechen wir gemeinsam in das Gebiet auf. Vor dem Haus wartet schon eine kleine Menschenmenge auf uns. Manchmal werden wir von rhythmischen Trommelschlägen mit klingenden Schellen begrüßt. Pfarrer Georg und ich bekommen ein Willkommenstuch um den Hals gelegt und wir betreten barfüßig das Haus. Die Familie kniet vor einem kleinen Hausaltar nieder, weitere Gäste sind versammelt. Dann wird die Einweihung mit Gebeten und Liedern vollzogen und am Schluss werden die Schlüssel überreicht. Die Menschen sind ganz bei der Sache. Ich spüre, sie wirken ernst, berührt, dankbar und das Gebet ist ihnen allen sehr wichtig. Danach ein kleiner Umtrunk mit Tee und einem Imbiss, alles in bescheidenem Rahmen. Die Stimmung ist etwas gelöster, die neuen, glücklichen Hausbewohner lächeln. Daneben steht oft noch die erbärmliche Hütte aus Palmblättern. Ich blicke hinein und bin ergriffen. Hier lebte noch die beschenkte Familie bis zum Tag der Einweihung. Dunkel, eng, schmutzig und für mich menschenunwürdig. Nach einigen Fotos und Filmaufnahmen zieht das Team weiter zum nächsten Haus.

Ich muss sagen, dass die Einweihung von Häusern bei strömendem Monsunregen mir die Erbärmlichkeit der Wohnverhältnisse noch krasser vor Augen führt. Es ist deprimierend, ja entmutigend und ich bewundere die Leute, die es jahrelang in diesen Hütten aushalten und sie immer wieder aufbauen. Das beständige Gebet lässt sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch sie eines Tages ein festes Dach über ihrem Kopf haben.

Am 29. August besuchen wir das Karmelkloster und deren Generaloberin Mutter Albina, die weltweit 1.200 Karmelitinnen leitet. Sie begleitet uns zum Nähzentrum in der Armengegend der Stadt Ernakulam. Dort sehe ich einen schön renovierten Bau, wo junge Frauen eine Nähausbildung erhalten, um später zum Familienunterhalt beitragen zu können. Die Räumlichkeiten sind freundlich und hell gestaltet, alles blitzt vor Sauberkeit und die Mädchen sind mit Eifer am Nähen. Ihre Arbeiten können sich sehen lassen, meist sind es Näharbeiten für den liturgischen Gebrauch oder Schuluniformen. Auch eine Hostienbäckerei ist vorhanden. Ich übe mich in der Herstellung einer großen Oblate; obwohl das Ergebnis nicht ganz perfekt geraten ist, lächelt die Generaloberin zufrieden.

Am 1. September gehen wir zum "Convent of the little flowers", das sieben geistliche Schwestern und 95 Waisenmädchen unterschiedlichen Alters beherbergt. Ich habe den Eindruck, dass auf Ordnung sehr viel Wert gelegt wird. Die Mädchen erscheinen in ihren farbigen Kleidern, die aus Spendengeldern beschafft wurden und nähern sich uns neugierig und mit zunehmender Offenheit. Es finden kleine Dialoge in Englisch statt. Sie singen einige Lieder und führen für uns verschiedene Tänze auf. Beim Abschied strecken sie uns mit berührender Freundlichkeit ihre Arme entgegen und rufen "Bye, bye, bye ...". Ihre Augen werde ich so schnell nicht vergessen.

Es ist meine Überzeugung, dass die gespendeten Gelder gut angelegt sind und dort helfen, wo Hilfe nötig ist. Die Menschen sind sehr dankbar und schließen die Spender in ihre Gebete ein. Ich weiß, dass ich nicht aufhören werde zu spenden. Die Menschen brauchen das Geld.